Warum bergab fahren mehr Können verlangt als bergauf
Bergab fahren wirkt auf den ersten Blick oft wie Belohnung: Schwerkraft übernimmt, Puls sinkt, Tempo steigt. Doch genau hier lauern viele Risiken. In meinen Jahren als Rennradfahrerin und Gravel- sowie MTB-Enthusiastin habe ich mehrmals erlebt, wie kleine Technikfehler, schlechte Linienwahl oder falsches Bremsen in einem Sturz enden können. Deshalb ist bergabfahren eine eigene Disziplin — und sie lässt sich systematisch lernen.
Grundprinzipien, die immer gelten
Bevor ich zu konkreten Techniken komme, fasse ich die Grundprinzipien zusammen, die ich mir immer wieder einimpfe:
- Blickführung: Deine Augen bestimmen deine Linie. Schau dahin, wo du hinwillst, nicht auf Hindernisse.
- Gewichtsverlagerung: Haltung und Schwerpunkt beeinflussen Grip und Kontrolle.
- Geschwindigkeitskontrolle: Tempo ist kein Wettbewerb — dein Können und die Strecke bestimmen das Limit.
- Bremsen mit Gefühl: Vorher bremsen, nachher lenken. Überbremsen kostet Grip.
Fahrtechnik 1 — aktive Haltung und Schwerpunktmanagement
Eine aktive Grundhaltung ist für mich das A und O: leicht gebeugte Arme, entspannte Schultern, das Becken leicht nach hinten über dem Sattel, aber nicht komplett im Wiegetritt. Auf dem Gravel- oder MTB lege ich mich etwas tiefer über den Lenker, um den Luftwiderstand zu reduzieren und das Gewicht gleichmäßiger zu verteilen. Wichtig ist, dass du jederzeit federn kannst — das heißt: Knie und Ellbogen nicht durchdrücken, sondern als Feder nutzen.
Fahrtechnik 2 — Blicktechnik und Linienwahl
Ich trainiere bewusst, meinen Blick 5–10 Meter voraus schweifen zu lassen (je nach Tempo). So erkenne ich Kurven, Wurzeln oder Schotterfelder frühzeitig und habe Zeit, die Linie zu wählen. Bei Kurven suche ich immer die Ein- und Ausfahrt — sprich: wo will ich hin, wo kann ich richtig Gas geben. In Trails mit losem Untergrund bevorzuge ich oft die etwas längere Linie, die festen Boden bietet, statt der direkten, aber rutschigeren Spur.
Fahrtechnik 3 — Dosiertes Bremsen: vorne und hinten sinnvoll einsetzen
Ein verbreiteter Anfängerfehler ist, nur hinten zu bremsen. Dabei liefert die Vorderradbremse den größten Anteil der Bremswirkung. Ich trainiere bewusst, mit beiden Bremsen zu arbeiten: kraftvoll, aber dosiert auf der Vorderradbremse, um die Geschwindigkeit schnell zu reduzieren, und fein auf der Hinterradbremse, um Stabilität zu behalten. Wichtig ist: vor einer Kurve abbremsen, dann während der Kurvenfahrt nicht mehr scharf bremsen, sonst riskierst du ein Ausbrechen des Vorderrads.
Fahrtechnik 4 — Cornering: Kurventechnik mit Vertrauen
Kurven sind Übungsplätze für Gewichtsverlagerung und Blicktechnik. Meine Routine:
- Vor der Kurve Geschwindigkeit anpassen.
- Blick zur Kurvenausfahrt richten.
- Außen pedal nach unten und innen pedal hochhalten (bei MTB/Gravel), damit das äußere Pedal Druck aufbaut.
- Gewicht leicht in Richtung Außenseite verlagern, aber nicht komplett vom Rad abheben.
Auf dem Rennrad fahre ich die Kurve meist aufrecht mit leicht geknicktem Oberkörper, um Grip zu maximieren. Auf technischen Abfahrten mit Wurzeln oder Steinen verlagere ich den Schwerpunkt noch weiter nach hinten, um das Vorderrad zu entlasten.
Fahrtechnik 5 — Über Hindernisse rollen statt stoppen
Bei Bremsen über Unebenheiten verliert man schnell die Kontrolle. Meine Devise: möglichst vor Hindernissen Geschwindigkeit anpassen und dann mit konstanter Linie drüberrollen. Technik-Tipps, die mir helfen:
- Vorladen und Entlasten (Pumpen) für Kanten oder kleine Absätze.
- Vor größeren Hindernissen kurz anheben (Bunny-Hop-Grundform) — auch ein einfacher Stoß aus den Armen und Beinen reicht oft.
- Wenn möglich, feste Kanten nehmen und weichen Boden vermeiden.
Fahrtechnik 6 — Bremsgriff- und Reifen-Setup für mehr Sicherheit
Die richtige Ausstattung erhöht die Sicherheit spürbar. Ich achte auf:
- Qualitativ gute Bremsbeläge und entlüftete Scheibenbremsen (bei Shimano oder SRAM regelmäßig kontrollieren).
- Reifen mit geeignetem Profil und dem richtigen Druck: zu hart = schlechter Grip, zu weich = Durchschlagsgefahr. Bei Gravel fahre ich oft 30–40% weniger Druck als auf der Straße, je nach Terrain und Felgenbreite.
- Griffige Lenkerbänder oder Griffe — bei Nässe gibt mir der Halt enorm viel Selbstvertrauen.
Fahrtechnik 7 — mentale Kontrolle: Pace, Risikoabschätzung und Punkt-für-Punkt-Fahren
Schnell heißt nicht automatisch besser. Auf langen Abfahrten schalte ich in kleine Abschnitte: fünf bis zehn Meter vor mir, was ist die beste Linie? Wo kann ich Gas geben, wo muss ich reagieren? Das reduziert Stress und erlaubt schnelle, rationale Entscheidungen. Außerdem gilt: Wenn du müde wirst, drossle das Tempo. Viele Stürze passieren spät in langen Abfahrten, wenn die Konzentration nachlässt.
Praktische Übungen, die ich empfehle
Technik verbessern geht nicht nur im Wettkampf — ich trainiere regelmäßig diese Übungen:
- Brems-Drills: auf einer ruhigen Straße aus 30 km/h auf 10 km/h mit beiden Bremsen in verschiedenen Szenarien (nass/trocken).
- Kurventraining: Schleifen auf einem Parkplatz mit wechselnden Linien und Geschwindigkeiten.
- Balance- und Pumptrack-Übungen für MTB-Fahrer — das stärkt Reaktionsfähigkeit und Körpergefühl.
- Reifen- und Drucktests: gleiche Strecke mit verschiedenen Drücken fahren und Unterschiede notieren.
Meine Fehler und was ich daraus gelernt habe
Ich erinnere mich an einen Abfahrtstag auf Schotter, wo ich zu spät gebremst habe und das Vorderrad wegrutschte — Ergebnis: Schürfwunden und ein lehrreiches Aha-Erlebnis. Seitdem: immer vor wichtigen Stellen abbremsen, Blicktechnik priorisieren und lieber eine Linie wählen, die etwas länger aber sicherer ist. Kleine Fehler haben mir gezeigt, dass Routine und Respekt vor der Strecke Hand in Hand gehen müssen.
Ausrüstungshilfen, die Sinn machen
Neben Technik helfen einige Produkte bei mir wirklich weiter: griffige Reifen wie Continental Terra für Schotter, hochwertige Bremsbeläge (z. B. Shimano Ice-Tech), sowie eine gut sitzende Protektorenjacke für technisch anspruchsames Terrain. Auch ein einfacher Spiegel oder eine dezente Rückleuchte erhöhen in Rennradgruppen die Sicherheit.